Hallo Fäbu und weitere Leser,
einen schönen Töff hast du dir da an Land gezogen, dazu noch zu einem sehr fairen Preis. Gratuliere.
Zuerst ein Kommentar zu Karl seinem Beitrag: Deiner Meinung nach müsste in dem Rahmen ein OHV Motor sein. Da liegst du ziemlich daneben. Es „könnte“ ein OHV drin sein, aber es „muss“ überhaupt nicht ein OHV drin sein. Optisch ziemlich identische Rahmen sind damals mit wechselgesteuerten 500ccm (1 und 2 Zylinder) Motoren ausgeliefert worden als Typ „Super-Sport 422“. Grössere wechselgeteuerte Motoren mit 750ccm und sogar 1000ccm sind ebenfalls ab Werk in sehr ähnliche Rahmen verbaut worden. Rahmen für stärkere Motoren unterschieden sich vor allem bei den Seitenwagenanschlusspunkten und bei weiteren, unauffälligen Details. Und ja, Karl, wenn er als „Grand-Sport“ verkauft worden ist, dann war ein OHV drin, von 250ccm bis 500ccm waren alle damaligen Motosacoche OHV 1-Zylinder bestellbar, mit Ausnahme von Rennmotoren.
Condor hat da den Baukasten verwendet wie heute bei den Autos. In der gleichen Karosserie von einem VW Golf kannst du heute Benzin, Diesel, Allrad, 4-Zylinder, 6-Zylinder und was weiss ich nicht was noch alles kaufen. Aber nicht alle Gölfe sind GTI, es gibt auch langweilige Versionen mit 75PS. Genau gleich hier bei Condor, es wurde fast alles in diesen Rahmen eingebaut was Motosacoche liefern konnte.
Dieser hier ist als „422 Super-Sport“ ausgeliefert worden, also ganz eindeutig wechselgesteuert, 500ccm, Satteltank.
Der Motor ist gemäss der Seriennummer von 1928, der Rahmen von 1929. Das passt perfekt zusammen. Wenn ich die Nummern von den häufigeren „Populaire 322“ vergleiche, könnte es sehr gut sein, dass der jetzt vorhandene Motor noch immer der erste Originalmotor ist. Es wäre schade, wenn du ihn jetzt einfach durch einen OHV ersetzen würdest, nur weil es möglich ist. Auch ein 1C9K6 bereitet viel Fahrspass.
Fäbu, wie du ja dem Töff ansehen kannst, hat er im zweiten Weltkrieg Militärdienst geleistet. Dies könnte der Grund sein, für ein paar Modifikationen. Walter hat bereits die Beleuchtung angesprochen. Der Töff mit Jahrgang 1929 könnte theoretisch ganz ohne Beleuchtung ausgeliefert worden sein, vielleicht sogar mit Karbid. Erst 1932 wurde es Vorschrift, dass Hersteller eine elektrische Beleuchtung anbauen mussten. Dieser Töff war jedoch 1929 ein sehr teures Exemplar von allen ausgelieferten Typ „422 Super-Sport“. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er Aufpreis pflichtiges Zubehör gehabt hat. Condor hat leider in seinen Werksunterlagen keine Hinweise auf Zubehör aufgeschrieben. Wenn jemand bei einem Condor 4-Takter eine Beleuchtung bestellt hat, konnte er zwischen Bosch und Phoebus auswählen, nicht aber Hella. Deine Hella Lampe ist entweder viel später drauf gekommen (im Militärdienst nach Lampendefekt ? ), oder der Töff wurde ohne Licht ausgeliefert und der Händler hatte Hella als Zubehör im Angebot (Frage an alle: Gab es 1929 schon Hella Lampen zu kaufen ?).
Das Rücklicht mit Bremslicht ist ebenfalls deutlich jünger. Falls es auch ein Hella ist, dann hat es Condor erstmals 1938 im Modell „523 Super-Lux“ verwendet. Aber vielleicht war es im markenunabhängigen Zubehör schon lange vorher zu kaufen. Sollte es ein Bosch Rücklicht sein, dann ist es in den damaligen Prospekten nie aufgeführt also ganz sicher jünger als der Töff oder vom Händler aus dem freien Zubehör genommen und angebaut. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass das Militär dafür verantwortlich ist.
Der Töff hat den grossen, Aufpreis pflichtigen 14 Liter Tank. Diesen Tank hat Condor 1929 nur gerade im Modell „532 Special-Sport“ angeboten. Erst ab 1930 war der Tank auch für andere Modelle erhältlich. Da deiner ganz spät 1929 ausgeliefert worden ist, könnte durchaus so ein Aufpreistank ab Werk drauf gewesen sein. Man erkennt diesen Tank daran, dass oben eine Uhr und ein Tacho eingebaut sind. (Es gab auch einen grossen Tank nur mit Tacho ohne Uhr). Jetzt ist am Lenker ein Zubehörtacho angebaut. Scheinbar war der originale „Alpha LeLocle“ Tacho im Tank irgendwann kaputt, und man hat ihn nicht mehr als Ersatzteil gefunden. Somit wieder ein Zubehörteil an den Lenker geschraubt, etwas was (das Militär ?) man halt grad gefunden hat. Ein typischer Condortacho ist es nicht, ich kann ihn nicht als „Alpha“ identifizieren. Der originale Tacho dürfte vermutlich noch vorhanden sein, wenn man von unten auf den Tank schaut, dann erkennt man, dass im Tank noch immer ein Tacho eingebaut ist. Es ist halt keine Antriebssaite angeschlossen. Alpha Tachos kann man meistens reparieren.
Die Beinschilder waren damals als freies Zubehör beim Töffhändler erhältlich. Ich könnte mich nicht erinnern, dies in einem Condorprospekt gesehen zu haben, aber grundsätzlich waren solche Sachen an jedem Töff montierbar, wenn man irgendwelche Adapter zur Montage am Rahmen hatte. Es fahren heute noch ein paar Motosacoche und anderer Töffs herum, die solche oder ähnliche Beinschilder haben. Da vor allem das Militär mit den Töffs ganzjährig unterwegs war, könnten die Beinschilder beim Kriegsdienst montiert worden sein, aber auch der zivile Vorkriegsbesitzer könnte sie nachgerüstet haben.
Oben am Motor ist zu erkennen, dass man das Ventilspiel vom Einlassventil über einen Exzenter einstellen kann. Diese Eigenschaft hatten nur die Motortypen 1C9K10 und 1C9K11. Deines ist jedoch ein älterer 1C9K6. Das bedeutet, dass zumindest die Ansaugglocke gegen ein jüngeres 1C9K10 Exemplar gewechselt worden ist. Vielleicht wurde nach einem Motorschaden auch gleich der 1C9K10 Zylinder genommen. Zylinder von 1C9K10 und 1C9K6 dürften identisch sein. Falls unten links am Zylinderfuss eine Nummer eingeschlagen ist, kann man herausfinden, ob der Zylinder stimmig ist.
Du hat bei dir das Getriebe welches 1930 als Neuheit vorgestellt worden ist. In deinem 500ccm „Super-Sport“ müsste die kleinere Version davon eingebaut sein, also der Getriebetyp „O.30“. Da dein Töff genau am zweiten Weihnachtstag ausgeliefert worden ist (bei Condor damals ein normaler Arbeitstag), kann es sehr gut sein, dass er schon mit dem neuen 1930er Getriebe ausgeliefert worden ist. Beweisen oder widerlegen kann ich es nicht.
Die Satteldecke sieht irgendwie seltsam aus. Entweder schlecht neu überzogen worden, oder vielleicht ein Überzug über dem alten Sitzleder drüber? Eine Demontage oder genaue Inspektion wird es aufzeigen.
Vorne auf dem Schutzblech sind zwei kleine Wappen zu erkennen. Diese Wappen kenne ich vor allem von Fahrrädern, weniger von Töffs. Eines ist immer das schweizer Wappen, das Andere ein Kantonswappen. Hier ist es ein Basler Wappen. Der Töff ist an einen Herrn (oder Frau ?) Ad. Leu in Biel-Borell ausgeliefert worden. Wäre mit Biel die Stadt am Bielersee gemeint, hat Condor fast immer die französische Variante genommen, also Bienne. Jetzt mit dem Basler Wappen könnte auch Biel-Benken als Wohnort vom ersten Käufer gemeint sein. Die Werksunterlagen sind immer handschriftlich geschrieben. Das was ich mal als „Borell“ angegeben habe, sieht eigentlich nicht nach „Benken“ aus. Aber es könnte „Basell“ heissen, ja mit doppel LL. Biel-Basell??? Dann würde das Baselwappen Sinn machen. Aber erstaunlich finde ich, dass dieses Wappen den Krieg überstanden hat. Oder ob es vielleicht erst nach dem Krieg drauf kam, als es jemand an einem Fahrrad abgeschraubt hat?
Vergaser und Zülima? Sehen gut aus, aber ohne die Bezeichnungen zu kennen, weiss ich nicht, ob sie passend sind. Schick mir ein Mail, vielleicht weiss ich dann dazu auch noch etwas.
Reto.burkhalter@man.eu
Du suchst noch ein farbiges Originalbild von dem Töff. Im 1929er Prospekt ist etwas drin, was Farbe hat. Aber wirklich die Lackierung erkennen kann man da auch nicht. Es sind halt damals noch Zeichnungen in den Prospekten abgebildet worden, und nicht Farbfotos. Zudem sind die Bilder teilweise viele Jahre lang verwendet worden, selbst wenn der Töff inzwischen schon ganz anders ausgeschaut hat. Aber dieses Bild hier, ohne Beleuchtung, dürfte den 1929er Zustand ziemlich gut zeigen.
Ergänzungen und Korrekturen sind gerne willkommen. Ich lerne auch gerne noch etwas dazu.
Gruss Reto Burkhalter